Gernika. Der Jahrestag der Bombardierung.
Der 83. Jahrestag hat uns im Schutz ereilt. Wegen des Ausnahmezustandes, den wir erleben, sind so viele Projekte plötzlich stehengeblieben: Viele sind es, die zivilgesellschaftlichen Akteure und Individuen, die sich in der Arbeit zum historischen Erinnern eingebracht haben; es sind auch die von außerhalb Gekommenen (aus Sartaguda und Lleida) um unser Erinnern – das auch das ihre ist -, zu teilen. Ein unerwarteter Jahrestag zweifelsohne.
Am Tag der Bombardierung zerstörten sie die Häuser; jetzt haben wir sie in eine Zuflucht verwandelt. Der Schutz hat erneut das gesamte Bewusstsein ergriffen, die faktische Macht. Die meisten von uns schützen uns gerade, indem wir die Angst teilen und uns gemeinsam beschützen. Trotzdem gibt es die, die eine andere Vorstellung von Schutz haben. Es sind die, die das Leben taxieren sowie der Solidarität, dem Engagement einen Preis aufdrücken. Indem sie dem Schutz der Wirtschaftswerte Vorrang einräumen, stellen sie Geschäfte, Transaktionen und Gewinne über die menschlichen Bedürfnisse. Indem sie mit dem Leben aller spekulieren, ist es nicht die Ökonomie, sondern die Menschlichkeit, die sie ins “Koma”versetzen wollen. Wie dem auch sei, sie haben es schwer, weil wir derart, wie Gernika aus der Asche wiederauferstanden ist, im Gegenwärtigen die gemeinsamen Ziele erreichen werden, indem wir die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Leben in den Mittelpunkt stellen. Dem lauten Medien- und Angstbombardement werden wir mit kollektiver Verantwortung entgegnen.
Wir haben die Pflicht, die entfachte Flamme unseres historischen Erinnerns zu bewahren, indem wir an das Bombardement erinnern. Aber bei diesem Anlass können wir einige Aspekte in diesem riesigen Datenmeer nicht vergessen.
So wollen wir an die Landsleute erinnern, die gerade den Arrest sehr weit von daheim und allein verbringen. Die auf Rache und Zerstörung basierende Haftpolitik wirkt sich umso härter in diesem Ausnahmezustand aus. Folglich ist es schmerzlich festzustellen, dass unsere Verantwortlichen mit Schweigen, Verachtung darauf reagieren.
Erinnern wollen wir ebenfalls an die Gernikas, an die Menschen, die gerade den Schrecken der Bombardierungen erleiden; an die Flüchtlinge, die anschließend ihre Familien, Häuser, Länder verlassen und nach einer Todesfahrt sich zusammengedrängt in Elendslagern befinden.
Erinnern wollen wir auch an die Frauen, die daheim in Schrecken mit denen, die sie misshandeln, leben.
Schließlich wollen wir daran erinnern, dass nach diesem Ausnahmezustand eine andere Gesellschaft – auf anderen Fundamenten basierend – entstehen wird: Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.
Hinweis:
Das Schreiben pflegen wir am Ende der Lichterdemonstration zu verlesen. Diesmal mussten wir es vorziehen. Das Schreiben möchten wir nutzen, um zur Teilnahme von Zuhause aufzurufen. Der Klang der Sirene lädt ein, die Häuser zu betreten; indem wir die Fenster öffnen und aus unserer ganz eigenen Zuflucht heraus mit kleinen Lichtern (Kerze, Taschenlampe, Handy) das Gedenken erleuchten, findet folglich die traditionelle Lichterdemonstration statt.
Demgegenüber: Zwischenmenschliche Bande, kollektive Verantwortung im Kampf für die gemeinsamen Ziele.
Da das die sicherste Zuflucht ist.
[Anm. d. Übers.: Das aus dem Baskischen ins Deutsche übersetzte Schreiben bedarf einer kurzen Anmerkung, da Gernika die Covid19-Pandemie unter anderen Rahmenbedingungen durchlebt als z.B. in Deutschland. Seit über 40 Tagen stehen die Menschen quasi unter Hausarrest, den die Zentralregierung in Madrid mit dem Alarmzustand am 14. März 2020 über den gesamten spanischen Staat verhängt hat. Sie dürfen die Häuser nur verlassen, wenn sie sich zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Arzt begeben müssen. Angesichts der hohen Anzahl an Toten und Infizierten kann man den Hausarrest als eine Art Schutz verstehen, aber auch als einen Zustand, der jegliche Aktivität – wie das Gedenken an die Bombardierung von Gernika durch die deutsche Legion Condor und die italienische Aviazione Legionaria am 26. April 1937 – ins “Koma” versetzt.
Seit einigen Jahren nehmen an dem Gedenktag auch Menschen aus Katalonien und Nafarroa/Navarra, einer Region, die historisch und kulturell ebenfalls zum Baskenland zählt, teil. Das katalanische Lleida erlebte 1937 auch einen vernichtenden Bombenangriff wie einige Monate zuvor Gernika. Das navarresische Sartaguda gilt als das “Dorf der Witwen”, nachdem die faschistischen Putschisten dort 1936 prozentual mehr Menschen umbrachten als andernorts im Nafarroa.
Am Gedenktag ertönen um 15.45h die Sirenen für die Dauer von vier Minuten. Der Verkehr ruht, Menschen gedenken schweigend auf einem zentralen Platz den Opfern des Bombenangriffs. Zivilgesellschaftliche Gruppen beschliessen den Tag traditionell mit einer Lichterdemonstration.]